Warum Menschen und nicht Organisationsstrukturen entscheidend sind!

Neulich fiel mir eine Karikatur in die Hände. Sie war überschrieben mit „Noch nie habe ich ein Organigramm mit einer so eindeutig klaren Beschreibung gesehen.“ Die Karikatur zeigt Vögel, die untereinander auf Ästen sitzen, oben der Chef, dann die Führungskräfte, Abteilungsleiter und der „Rest“. Die Vögel entleeren sich jeweils auf die unteren Etagen. Unterschrieben ist das Ganze mit „Wenn die Jungs von oben nach unten schauen, sehen sie nur Sch....; wenn die Leute von den unteren Ebenen nach oben schauen, sehen sie nur A....löcher.“

Man schmunzelt natürlich, und gleichzeitig hat mich das Bild über hierarchisch strukturierte Unternehmen, was hier transportiert wird, auch betroffen gemacht. Woher kommt dieses Schubladen-Denken? Woher diese Vorurteile von Vorgesetzten über Ihre Mitarbeiter und von Mitarbeiter über Ihre Manager? Und viel entscheidender an dieser Stelle: wie kann man solchen Denkweisen vorbeugen, sie vermeiden?

Eine landläufige Lösung zur Vermeidung von Schubladendenken à la „die da oben“ bzw. „die da unten“ sind alternative Organisationsformen. Neuere dezentrale Organisationsformen wir Matrix, Netzwerk, prozessorientierte Organisationen, Projektteams etc. versuchen den autoritären Touch, der der hierarchische Struktur anhaftet, zu vermeiden. Entscheidend soll nicht die Position sein, sondern die Aufgabe. Statt vertikal zu kommunizieren, soll lateral interagiert werden. Entscheidungen sollen nicht eigenmächtig getroffen, sondern im Team herbeigeführt werden. Hingabe an die gemeinsamen Ziele und Identifikation mit der Organisation, dem Team und der Aufgabe sollen Loyalität und „Gehorsam“ ersetzen. Doch, wie gut funktionieren eigentlich dezentrale Organisationsformen – eine Errungenschaft des technologischen Fortschritts – in der Praxis?

Was im Internet hervorragend funktioniert, wenn z. B. Programmierer weltweit gemeinsam an einer neuen Open-Source-Software basteln, stellt sich in der unternehmerischen Praxis oftmals als recht schwierig dar. Was ist also die große Herausforderung für dezentrale, sich selbst organisierende Teams in Unternehmen? Woran liegt es eigentlich, dass hier manche Resultate zu lange auf sich warten lassen oder endeffektlich zu viele Ressourcen verwendet werden?

Ich denke da z. B. an das Organigramm eines dezentral aufgestellten Unternehmens mit 120 Mitarbeitern in einer Matrix-Organisation. Es umfasst ca. 30 Seiten und auf meine Frage, wer in der Organisation mir selbiges erklären könne, erntete ich breites Schweigen. Das Resultat solcher Organisationsformen ist oftmals bedauerlicherweise das Gegenteil dessen, was man sich ursprünglich davon versprochen hat: Weil Zuständigkeiten unklar sind, wird nur noch auf Abruf gearbeitet. Statt sich gegenseitig zu unterstützen, arbeiten verschiedene Teams bzw. Ressorts gegeneinander, z. B. wenn sie unterschiedlichen Profit Centern angehören. Einzelinteressen stehen vor Gesamtinteresse. Veränderungen setzen sich – wenn überhaupt – nur sehr schwer durch. Denn Menschen in dezentralen Strukturen sind sich oftmals nicht bewusst über den gemeinsamen Belang, gemeinsame Ziele und eine gemeinsame Kultur der Verantwortlichkeit.

Mit Organisationsformen verhält es sich wie mit Schulformen in der Bildungspolitik: Der Neuseeländer John Hattie fand in einer breit angelegten Meta-Studie heraus, dass weder Schulform, noch Klassengröße, noch Ausstattung der Bildungsanstalt über Erfolg oder Misserfolg der Schüler entscheidet, sondern das persönliche Engagement des Lehrers. Welch revolutionäre Erkenntnis! Alle die Dinge, über die man in 30 Jahren Schulreform so leidenschaftlich diskutiert hat: hinfällig. Auf den guten Lehrer kommt es an! Was zeichnet ihn aus? Hattie versteht ihn als „activator“, als denjenigen der die Klasse im Griff und den Einzelnen stets im Blick hat. Er muss „classroom management“ betreiben und seinen Schülern zu verstehen geben, was er von ihnen will, also Ziele definieren. Die Einstellung sei entscheidend, sich zu fragen was er selbst anders machen könne, wenn seine Schüler nicht voran kommen. Und ohne Respekt und Wertschätzung, Fürsorge und Vertrauen könne Lernen schlicht nicht gelingen.

Was können wir Manager hieraus lernen?

Statt künftig viel Zeit und Energie auf die x-te Neustrukturierung unserer Organisation zu verwenden, sollten wir Verantwortlichkeiten konkret definieren. Und zwar fachliche wie disziplinarische Verantwortung – auch und vor allem in dezentral strukturieren Organisationen! Dann können Mitarbeiter zielorientiert und in Übereinstimmung mit Werten geführt werden. Wir selbst sollten ausreichend Zeit in unsere Führungsarbeit investieren, um unsere Abteilung oder unser Team aktiv zu managen. Uns nicht scheuen, strategische Ziele und Beschlüsse direkt und ohne Umschweife zu kommunizieren. Respekt und Vertrauen dank unserer Vorbildfunktion ständig zu befördern. Und vor allem: Uns zuerst fragen, was wir selbst besser machen können, bevor wir mit dem Finger auf Andere zeigen, wenn unsere Mannschaft mal wieder nicht so agiert, wie wir uns das vorstellen.

Und dann garantiere ich Ihnen, dass Sie weder „Sch....“ sehen beim Blick in die Organisation hinein, noch dass Ihre Mitarbeiter Sie als „A....loch“ betrachten!